Eine Schule in einer Festung ist an sich schon eine Besonderheit. Das Gymnasium Zitadelle hat aber neben seiner langen Geschichte auch noch das Extra: Sie steht auf Federn. Der Grund: Eine tektonischen Zone, auf der die Festung steht, führte ab 1979 zu Rissen im Gebäude. Dieser sogenannte „Rursprung“ verläuft diagonal durch die Festungsanlage. Schließlich fiel die Entscheidung, das Gebäude zu „zersägen“ und zur perspektivischen Standsicherheit auf Stahlfedern zu heben.
Der Südflügel aus den 1960er Jahren wurde aufgerissen, und sogenannte Federkörper eingesetzt – eine der Techniken, die zum Stützen des absinkenden Teils angewendet werden. Während die historischen Teile weitgehend aus Feldbrandsteinen gebaut sind, handelt es sich hier um Beton. Dies eröffnete die Möglichkeit, den absinkenden Teil des Gebäudes durchzuschneiden und von dem nicht absinkenden Teil durch eine Trennfuge zu trennen.
Wie ein Laib Brot sei das Gebäude durchgesägt worden, und zwar mit einem riesigen Diamantsägeblatt, erklärt Thomas Jelen, Bauingenieur aus Jülich, der mit der regelmäßigen technischen Überwachung betraut ist. Doch kaum jemand kann sich vorstellen, was alles getan werden musste, um zwei unabhängige Gebäudeteile entstehen zu lassen. Die Dachhaut musste getrennt werden und trotzdem dicht bleiben, Waschbecken, Abwasserrohre verlegt, Fluchtwege mit extra Stufen versehen und wegen des Ausgleichs des Höhenunterschieds mit Beleuchtung ausgestattet werden. Heizungsrohre musste flexibel gestaltet werden, und natürlich seien komplett neue Rauman- und abschlüsse geschaffen worden.
„Die Trennung war nicht einfach, das Brot durchzuschneiden, sondern alles musste von Anfang an sauber durchgeplant sein, damit das Gebäude bewegungsfähig und dessen Infrastruktur intakt bleibt“, weiß Jelen auch von seinem Vorgänger Helmut Stralek, der nun kurz vor seiner Rente steht, aber gerne sein Wissen teilt. Im Grunde seien also beim Durchschneiden zwei Gebäude entstanden. Und das kann man auch sehen, wenn man vor dem Gebäude steht: Zwei unterschiedliche Niveaus sind sichtbar.
Bei der Sicherung mit Federkörpern handelt es sich um eine sogenannte aktive Sicherung, erläutert Stralek. Die eine Seite des Gebäudes gehe kontrolliert runter, während die andere Seite kontrolliert über Federkörper gestützt werde, ergänzt Jelen. Wenn die Federkörper unter dem abgestützten Teil nicht mehr unter Spannung stehen, werden Stahlplatten untergelegt, um die Federkörper wieder auf Spannung zu setzen. Die Federkörper glichen den Verlust der Bodenkraft aus, imitieren also im Prinzip den Gegendruck des Bodens.
Das alles werde per Modem und elektronisch überwacht, so Jelen. Es sei eine 70 Millimeter Hebung plus vorsorglich 35 Millimeter Überhebung gemacht worden. Dabei sei es sehr wichtig abzuschätzen, wieviel Verformung das Gebäude zulasse. „Wir haben schon viele Gebäude gesichert“, so Stralek. Man habe dabei die Federkörper aus dem untertägigen Tagebau des Ruhrgebietes auf das Gebäude und seine besonderen Bedürfnisse übertragen, erklärt der Ingenieur.
Er erläuterte auch die passive Sicherungstechnik, die bei den historischen Gebäudeteilen zum Tragen kommt, bei denen man anders vorgehen müsse: Hier würden Umformungen zugelassen, um anschließend den Zustand wiederherzustellen. Hier ist das Verpressen von Rissen zu nennen, die an den historischen Teilen des Gebäudes entstanden sind. Für dieses Verpressverfahren werde ein spezieller „Zitadellen-Mörtel“ verwendet. 20 Zentimeter tiefe Bohrungen wurden in das Mauerwerk geführt, die anschließend mit Injektionsstutzen versehen wurden. In die Hohlräume wurde dieser „Trasskalk“ hineingepresst. Diese Methode sei besonders substanzschonend, was seit 1984 besonders wichtig wurde, als die Zitadelle in die Denkmalliste aufgenommen wurde und das Rheinische Amt für Denkmalpflege plötzlich entscheidend mitzureden hatte. Seitdem handele es sich um Bauingenieurleistung unter Denkmalschutzaspekten, was nochmals eine ganz besondere Herausforderung darstelle, so Stralek.
Die Besichtigung der Federkörper unter dem Südflügel ist eindrucksvoll. Es erfordert allerdings ein wenig Entdeckergeist, die schmale Treppe zu erklimmen, um einen Blick auf die Federkörper in einem Raum unterhalb des Südflügels zu erhaschen. Doch das lohnt sich.